Arthur Ade und Herrmann Irrgang gründeten im Jahr 1920 im thüringischen Hörselgau die ADE-Werke. Es wurden zunächst verschiedene landwirtschaftliche Geräte, Anhänger und Anhängerkupplungen hergestellt. 1926 wurde der Betrieb in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und nach Waltershausen verlegt. Ab 1928 wurde der ADE-Express hergestellt, ein dreirädriger Lastentransporter mit einer Nutzlast von 750kg. Nach dem Krieg wurde eine bescheidene Produktion firmiert als Gerätebau Waltershausen wieder aufgenommen. Dieser Betrieb wurde im Jahr 1948 zu VEB Fahrzeugwerk Waltershausen umbenannt.

Zur Geschichte der “Dieselameise”

Schon vor dem Krieg waren Elektrokarren für den innerbetrieblichen Transport unentbehrlich geworden. Der VEB Gusspress- und Schmiedewerk „Einheit“ Brand- Erbisdorf/Sa. fertigte solche bzw. wollte gerne solche fertigen. Das Problem: es gab kein Blei-Akkumulatoren. So baute man einen schlichten Einzylinder-Dieselmotor nebst Kupplung und Getriebe in eine solche Karre ein. Die Hinterachse erhielt einen kuriosen Schneckentrieb, der einst bei den Nacke-Lastkraftwagen erstmals angewendet wurde. Ungewöhnlich blieb die Trittmulden-Lenkung, bei der der Fahrer durch Verlagerung des Körpergewichtes von einem Bein auf das Andere die Fahrtrichtung ändern konnte. Diese waren aber Standart bei den weit verbreiteten Elektrokarren. Nach der Fertigstellung der ersten hoffnungsvollen “Ersatz-E-Karren” bekam der potente Betrieb aber andere wichtige Aufgaben von den Wirtschaftsplanern zugewiesen. So wurden die dringend benötigten Dieselkarren zunächst in der Lehrwerkstatt des Zschopauer Motorradwerkes gefertigt. Dort hatte man aber eigentlich andere Aufgaben und hätte nie annähernd den Bedarf decken können. In Brand-Erbisdorf und Zschopau sind wahrscheinlich 270 Stück der Ameisen gebaut worden. Inzwischen hatte das Außenhandelskontor Exportmöglichkeiten erkannt und die Produktbezeichnung “Dieselameise” eingeführt. Nach der Verlagerung der Produktion von Schiffsdieselmotoren wurden nun Kapazitäten in den neu errichteten VEB Industriewerken Ludwigsfelde frei. So wurden dort von 1954 bis 1956 neben diversen  Industrieprodukten und Motorrollern etwa 1420 Stück der Dieselkarre DK 2002L hergestellt. Doch in Ludwigsfelde hatte man im wirklichen Wortsinn hochfliegende Pläne. Die Produktion von Strahltriebwerken für das Passagierflugzeug Baade 152 der Dresdener Flugzeugwerft wurde eingerichtet und erste Turbinen produziert. Ein neuer Hersteller musste von den Wirtschaftslenkern der Planwirtschaft gefunden werden.

Dieselkarre DK 2003 Bj. 1957 Sächs. Nutzfahrzeugmuseum

“Dieselameisen” DK 4 und DK 3 v.l.n.r.

Multicar DK 4/M21 als Muldenkipper

Detail Zylinder und Kopf des liegenden Einzylinders

DK 2003(DK3) und DK 2004(DK4)/ab Dezember 1959 Multicar M21

Durch die Vorkriegsproduktion des ADE-Express schien der Betrieb in Waltershausen geeignet, um die dringend benötigten Dieselameisen herzustellen. Zunächst lieferte Ludwigsfelde noch einige Teile, doch bald war die Produktion in gewisser Fertigungstiefe übernommen und die “Ameisen” wurden als Dieselkarre DK 2003 oder DK 3 ohne Wartezeit angeboten, was in der Wirtschaft der DDR selten war. Der liegende Dieselmotor mit einem Hubraum von 650 ccm und einer Leistung von 6PS mit Verdampfer-Kühlung wurde vom VEB Phänomen-Werke Zittau Betriebsteil Kamenz oder vom VEB Motorenwerk Cunewalde geliefert. Da mit den Füßen gelenkt wurde musste mit der Hand über verschiedene Hebel gebremst, gekuppelt, geschaltet und Gas gegeben werden. Bald nach der Produktionsübernahme wurde die “Dieselameise” weiterentwickelt. Die Motorleistung wurde auf 6,5 PS erhöht, das Töff-Töff-Geräusch durch einen besseren Schalldämpfer gemildert, vor allem aber das Herausfallen des Fahrers bei heftigen Bremsmanövern durch eine Tür der nun den Vorderteil des Fahrzeugs umfassenden Verkleidung verhindert. Die DK 4 wurde auf der Herbstmesse in Leipzig vorgestellt und es gab sie nun bereits in vielen Varianten beispielsweise als Kipper oder Mini-Kran. Das Werk rief in seiner Betriebszeitung im Oktober in einem Wettbewerb dazu auf, einen neuen Produktnamen zu finden. Neben wunderbaren Namen wie; “Bau-Molch” oder “Rennsteig-Hirsch” tauchte erstmals der Name “Multicar” auf. Die DK 4 erhielt nun den namen Multicar M21 und das Schutzrecht wurde am 4. 12. 1959 eingetragen und so eine der wenigen ostdeutschen Marken, die den “Wirtschaftskrieg” nach der Wende überlebt haben, geschützt. Bis 1964 wurden etwa 14.000 Exemplare der Ameise, die unglaubliche 2000 Kilogramm Nutzlast auf Wegen bis 8 Prozent Steigung bewegen konnte, hergestellt, davon 3200 für den Export. So ging die Zeit, in der Betriebe das Fahrzeug ohne Kontingentierung d.h. ohne Wartezeit erwerben konnten, schnell vorbei. Etliche der kleinen Tucker-Karren wurden auch für den Straßenverkehr zugelassen, vor allem für Hoch- und Straßenbaubetriebe, aber auch für die Post, Kommunalbetriebe und sogar Brauereien. Den M21 hat es mit Drehleiteraufbau gegeben. Die Ausführung mit Blaulicht für die Feuerwehr ist aber m.E. eine Art von Humor.

Multicar Drehleiterfahrzeug

Multicar M 22 Dreiseitenkipper mit Anhänger

Motor Multicar M22 Sächsisches Nutzfahrzeugmuseum

Für den auch in der DDR schnell anwachsenden Straßenverkehr war ein Fahrzeug, das mit Füßen gelenkt und mit den Händen gebremst, gekuppelt, geschaltet oder beschleunigt wird auf die Dauer unzweckmäßig. Aus der “Dieselameise” musste ein wirkliches Kraftfahrzeug werden. 

Multicar M22

Der neue Multicar wurde auf der Frühjahrsmesse 1964 in Leipzig vorgestellt. Der Fahrer konnte nun wirklich nicht mehr aus dem Fahrzeug herausfallen. Er sass auf einem bequemen Sitz und konnte das Fahrzeug mit Lenkrad, Pedalen und Schalthebel wie die meisten anderen Kraftfahrzeuge auch bedienen. Auch war die komplette StVO-gerechte Beleuchtung mit der üblichen Bedienung verfügbar. Die Nutzlast blieb bei 2000 Kilogramm. Durch die höhere Motorleistung stieg die Steigfähigkeit des Mini-Lasters aber auf 16 Prozent. Die Abmessungen blieben etwa gleich, da sich im innerbetrieblichen Transport, aber auch bei kommunalen Aufgaben das Format bewährt und etabliert hatte. Bald gab es eine brauchbare Heizungs- und Belüftungsanlage für das Fahrerhäuschen und eine Differentialsperre. Die Leistung des neu entwickelten luftgekühlten Zweizylinder-Dieselmotors aus Cunewalde stieg von 13 auf 15 PS aus 800ccm Hubraum. So konnten auch Anhänger bis 2500 kg Gesamtmasse und Auflaufbremse gezogen werden, wobei die Steigfähigkeit bei voll ausgenutzten 4000kg Nutzlast auf 8 Prozent sank. Der M22 wurde zehn Jahre lang bis 1974 gebaut. Von den 42.579 gefertigten Exemplaren wurden 58 % in alle Welt exportiert, unter der Marke FAWA-Car sogar in die BRD.

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