Während des zweiten Weltkrieges wurden in Deutschland kaum noch zivile Fahrzeuge hergestellt. Die gesamte Wirtschaft arbeitete für den “Endsieg”. Im Mai 1945 lagen viele Betriebe in Schutt und Trümmern. Das Gläser-Karosserie Hauptwerk beispielsweise wurde durch die Bombenangriffe und den anschließenden “Feuersturm” in Dresden vollständig vernichtet. Bei Wanderer in Chemnitz wurden 75 bei BMW in Eisenach 60 Prozent der Gebäude dem Erdboden gleichgemacht. Die massiven Zerstörungen des Krieges hatten die ostdeutsche Wirtschaft aber viel weniger geschädigt, als das, was danach kam. Das Potsdamer Abkommen sah die Demilitarisierung, Dezentralisierung, Demokratisierung und teilweise Zerschlagung der deutschen Wirtschaft vor. Umfangreiche Demontagen von Industrieanlagen als Reparation (Wiedergutmachung) waren schon bei der Konferenz in Jalta vereinbart worden. Die Amerikanischen Verbände waren Ende April 1945 bis zur Elbe vorgedrungen. Städte und Firmen in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalts wurden von der US-Armee besetzt. Wichtige Konstruktionsunterlagen, Forschungsergebnisse und Erzeugnisse beispielsweise taktische Raketen in Nordhausen, Flugzeuge, Fahrzeuge aus Eisenach, Chemnitz u.v.m. wurden beschlagnahmt.
Kurz vor der Übergabe der Gebiete an die Sowjetarmee am 1. Juli 1945 stellten die Amerikaner Busse vor einige Betriebe. Viele Angehörige der Betriebsleitungen, Versuchs- und Konstruktionsabteilungen stiegen ein und fuhren mit in die westlichen Besatzungszonen. Mein Opa hat mir aus dieser Zeit einen Spruch überliefert: “Wenn die Russen das mit uns machen, was wir mit ihnen gemacht haben, dann gnade uns Gott.” Ganz so schlimm kam es nicht, aber schlimm genug. Ab 1. Juli 1945 bis 1948 demontierte die Rote Armee den überwiegenden Teil aller Produktionsmittel. Bei der Auto-Union in Chemnitz wurden beispielsweise 98 Prozent aller Maschinen in die Sowjetunion abtransportiert. Die Anlagen von DKW in Zschopau wurden komplett nach Ischewsk geschafft. Die Werkhallen hatten nach der Demontage oft weder Fenster noch Türen. Selbst die elektrische Anlage fehlte. Bis März 1947 wurden in der SBZ 2400 Firmen und 11.800 Kilometer Eisenbahnschienen sowie alle Oberleitungen der Eisenbahn demontiert. Die Hallen von Betrieben, die ausschließlich für die Rüstung gearbeitet hatten, wurden gesprengt z.B. das Motorenwerk Ludwigsfelde, das Opel-Werk in Brandenburg und die VOMAG in Plauen. In einige Betriebe wurden wenige Maschinen umverteilt. So produzierte BMW in Eisenach ab 1945 Personenkraftwagen, Wehrmachtsgespanne und andere Motorräder zunächst ausschließlich als Reparation für die Sowjetunion. Mein Vater berichtete von den letzten Reparationswellen, wo beispielsweise in Leipzig-Lindenau Soldaten mit Pferdewagen durch die Straßen zogen und aus den vielen kleinen Handwerksbetrieben noch die letzten Bohrer und Feilen herausholten.
In Nordhausen fanden die Sowjets von der gewaltigen Raketenproduktion der V2 nur noch leere Hallen und Tausende halbtoter KZ-Häftlinge vor. Die Amis hatte alles, auch die meisten Ingenieure mitgenommen, ohne die sie es später sicher nicht so schnell auf den Mond geschafft hätten. Dem SMAD gelang es aber ab Juli viele Meister, etliche Wissenschaftler und Ingenieure und ein paar übrig gebliebene Raketenteile aufzufinden. Mit diesen gelang in Nordhausen die völlige Rekonstruktion der Zeichnungen, der Technologien und schließlich der Bau verbesserter V 2-Raketen – die Grundlage der sowjetischen Raumfahrt und des ersten Satelliten der Welt – dem Sputnik. Einen ähnlichen Zweck verfolgte das Automobiltechnische Büro (ATB) der SAG Awtowelo in Chemnitz. Das sollte den ganzen Entwicklungstand der Auto-Union, die neueste Motorentechnik und Technologie für die Sowjetunion nutzbar machen. Alle von den Amerikanern und den fliehenden Mitarbeitern übrig gelassenen Unterlagen wurden beschlagnahmt. Die Unterlagen für die Produktion des IFA F 9 mussten deshalb rekonstruiert werden. Der neue Wagen wurde so teilweise zweimal konstruiert. Die ersten Produkte, die in der SBZ bleiben konnten, waren Traktoren und Lastwagen. So war die Herstellung dieser Nutzfahrzeuge als Produktionsmittel in der DDR immer wichtiger als die Produktion von PKW als Konsumgüter für die Bevölkerung.
Ein solches Ausmaß haben die Reparationen in den Westzonen nie erreicht. Bald wurden sie ganz eingestellt. Während wir noch bis zur Wende zu sehr unvorteilhaften Konditionen Güter an die UdSSR lieferten, kamen die zur BRD vereinigten Westzonen in den Genuss des Marschall-Planes. Viele Vereinbarungen des Potsdamer Abkommens wurden von den USA nicht eingehalten. Selbst die Rüstungsindustrie Westdeutschlands wurde kaum angetastet. Der große Wirtschaftsboom Westdeutschlands entsprang aber weniger den Krediten des Marschall-Planes, sondern aus der Entwicklung der Industrie, die u.a. auch einen großen Teil der Munition für den Korea-Krieges lieferte, welcher 3 bis 4,5 Millionen Menschen den Tod brachte. In einer Zeit, die im westlichen Teil Deutschlands als Wirtschaftswunder bekannt wurde, rollte und schwamm ein Großteil unserer Produktion gen Osten. Der überwiegende Teil der großen Fischfangflotte der UdSSR stammt aus ostdeutschen Werften. Die Preise dafür reichten, um Rohstoffe und Löhne zu bezahlen. Für viel mehr nicht. Während eine Firma nach der anderen im Westen ihre Produktion wieder aufnahm, wurde die Wirtschaft im Osten völlig umgebaut. Der Volksentscheid vom 30. Juni 1946 in Sachsen diente der Legitimation der Enteignung aller größeren Betriebe. In anderen Bundesländern gab es ihn nicht und die Betriebe wurden trotzdem sequestriert. Bis 1948 wurden 9281 Betriebe enteignet. 1948 wurde die Deutsche Wirtschaftskommission (DWK) gebildet, um volkseigene Betriebe aus dem, was übrig gebliebenen war, neu zu formen. Aus der 1946 gegründeten Industrieverwaltung IV 19 mit Sitz in Chemnitz, welche viele Fahrzeughersteller, bzw. deren Reste beinhaltete, wurde am 1.7.1948 die IFA – Vereinigung Volkseigener Fahrzeugwerke gegründet. Anschließend wurden die Hersteller immer wieder umgruppiert und schließlich zu Kombinaten zusammengefasst. In den einzelnen Kapiteln möchte ich versuchen, die Zusammenhänge und wechselnden Firmierungen historisch darzustellen. Es erscheint mir sinnvoll, hier zunächst einen historischen Überblick über die Entwicklungen, nach Standorten geordnet, zu geben.
Die wichtigsten Standorte
Brandenburg: Brennabor ⇒ Brandenburger Traktorenwerk ⇒ VEB IFA-Getriebewerk Brandenburg
Chemnitz: Auto-Union; VEB IFA Fahrzeug-Entwicklungswerk (FEW) Chemnitz, VEB Motorenwerk Chemnitz, VEB Fahrzeugwerk Karl-Marx-Stadt ⇒ VEB Barkas-Werke
Chemnitz: Auto-Union ZKB; ATB (im SAG) ⇒ IFA Forschungs- und Entwicklungswerk ⇒ VEB Wissenschaftlich technisches Zentrum Automobilbau (WTZ)
Cunewalde: Leichtmetallwerk Kühne ⇒ Fa. Otto Bark ⇒ VEB Motorenwerk Cunewalde
Eisenach: Dixi ⇒ BMW⇒ Awtowelo AG ⇒ EMW ⇒ VEB Automobilwerk Eisenach
Hainichen: Framo/VEB Barkas Hainichen/VEB Barkas Karl-Marx-Stadt,
Ludwigsfelde: VEB IWL VEB Automobilwerke Ludwigsfelde
Nordhausen: MBA AG ⇒ Montania ⇒ VEB Schlepperwerk Nordhausen ⇒ VEB Motorenwerk Nordhausen.
Schönebeck/Elbe: Famo (ehem. Breslau) + Junkers + Weltrad ⇒ Fahrzeug und Apparatebau GmbH Schönebeck ⇒ Schlepperwerk Schönebeck ⇒ VEB Traktorenwerk Schönebeck
Suhl: Simson ⇒ Gustloff-Werke ⇒ VEB Fahrzeug- und Gerätewerk Simson Suhl
Waltershausen: ADE-Werke ⇒ VEB Fahrzeugwerke Waltershausen,
Werdau: Schumann-Werke AG ⇒ VEB Ernst Grube
Zschopau: DKW ⇒ Auto-Union; DKW ⇒ MZ VEB Motorradwerk Zschopau
Zittau: Phänomen-Werke Gustav Hiller AG ⇒ VEB Phänomen Werke ⇒ VEB Robur
Zwickau: Auto-Union; VEB Audi und VEB Horch ⇒ VEB Sachsenring Automobilwerke Zwickau
Fahrzeugbau und Planwirtschaft
Quellen: Kirchberg, Peter, Plaste, Blech und Planwirtschaft, Die Geschichte des Automobilbaus in der DDR, Nicolaische Verlagsbuchhandlung Beuermann GmbH, Berlin, 2000