Die “Ära Honecker” war von der katastrophalen Enteignungswelle 1972 bis zum Beginn der achtziger Jahre von weitgehender Stagnation in der Wirtschaft geprägt. Nun begannen einige Entscheider umzudenken. Im Bereich der Nutzkraftwagen wollte man zumindest in Nordhausen und Ludwigsfelde ein etwas dickeres Brett bohren. Einige der vielen Innovationen der Ingenieure bekamen endlich eine Chance. Im Jahr 1983 entstanden nun weitere Muster-Motoren zur Erprobung mit dem neu entwickelten Hyperboloid-Verfahren. Die neue Baureihe von Motoren mit 4, 5 und 6 Zylindern und Einzelzylinderköpfen hatte wieder einen größeren Hub von 135 Millimetern. Die daraus resultierende geringere Drehzahl, das höhere Drehmoment und längere Lebensdauer waren für Nutzfahrzeuge geeigneter. Neben dem H-Einspritz-Verfahren wies die Baureihe noch eine weitere technische Neuheit auf. Fast dreißig Jahre bevor auch VW und Daimler dies in die Produktion einführten, hatten diese Motoren Kolben aus Eisen. Heute sind Eisenkolben bei Dieselmotoren weit verbreitet. Das die Technologie in Dresden und Nordhausen entwickelt wurde, weiß kaum noch jemand. Endlich wurden geniale Erfindungen in die Produktion überführt.
Doch der Produktionsstart der modernen Motoren verzögerte sich. Der Investitionsbedarf war hoch. Eine komplett neue Gießerei für das Kugelgraphit-Verfahren musste errichtet werden. Bis zum Produktionsanlauf auch in Ludwigsfelde wurde die Herstellung von Kleindieselmotoren für Geräteträger und kleine Baumaschinen (z.B. Waran) sowie die Produktion einfacher Fahrrädern eingerichtet. Ich selbst installierte dort eine Propangasanlage für die Fahrradrahmen-Löterei. Die Fahrradproduktion war vor allen für befreundete Länder, wie Vietnam, Angola und Mosambique vorgesehen. Die Wirtschaftslenker wollten für uns Kaffee und Südfrüchte besorgen. Dies hat jedoch nur teilweise funktioniert. Immerhin wurde Vietnam durch Betreiben des Instituts für tropische Landwirtschaft Leipzig kurz nach der Wende zum zweitgrößten Kaffee-Erzeuger der Welt und suchte nach Abnehmern. Die Ossis kauften jetzt “Westkaffee” mit D-Mark aus Südamerika. (Das nur am Rande.)
Endlich: Produktionsstart des 6 VD 13,5/12
Ab April 1987 wurden zunächst Saugmotoren mit 6 Zylindern und 180 PS Leistung aus 9160ccm Hubraum vor allem für den neuen LKW L 60 gefertigt. Von dieser Version wurden 22.918 Stück für den Sechstonner, aber auch für den ADK 100, den Mähdrescher E 524, Bagger und andere Baumaschinen ausgeliefert. Auch Motoren mit Turboladern waren geplant. Die Firma KKK in Frankenthal sollte sie produzieren. Ein schon 1981 ausgehandelter Lizenzvertrag wurde aber nicht eingelöst. Die DDR wollte Devisen sparen. Erst ab 1990 wurden einige Turbodiesel als Sechszylinder mit 272 und als Vierzylinder mit 190 PS gebaut.
Bald nach der “Wende” waren die Nordhausener Motorenbauer nicht mehr Herr im eigenen Hause. Herrschaften von der Treuhand trafen die Entscheidungen. Im Jahr 1992 wurden 1800 Mitarbeiter entlassen. Von den einst 2200 Motorenbauern waren nun nur noch 150 übrig. Die Treuhand verscherbelte die Produktionsanlagen, die zum Teil vom F. J. Straußschen Krediten zu den modernsten der Welt geworden waren, zu Schleuderpreisen. Ein “Konsortium von Geschäftsleuten” erwarb für einen geringen Preis die Rechte an den Konstruktionen. Rechte und Unterlagen für den L 60-Motor wurden beispielsweise für 11 Millionen DM an die Firma Kirloskar in Indien verkauft. Dort wurde der Motor aus der DDR lange Zeit weiter produziert. Mit Ladeluftkühlung leistete er 310 PS.
wenig bekannte Nordhäuser Innovationen
Quellen: Steinmetz, W., Heber, A., Geiger, W.; IFA Nordhausen – 100 Jahre Geschichte. Sonderedition des IFA-Museum Nordhausen e.V. Geiger, Wilfried; Vom rustikalen Glühkopfmotor zum modernen Dieselmotor, Geschichte des Motorenbaus in Nordhausen, ….. Sonderedition des IFA-Museum Nordhausen e.V., 2021