“Windschnittig”
– Anmerkungen zu einer sehenswerten Ausstellung zum Thema Stromlinie im Fahrzeugbau im August-Horch-Museum Zwickau
Für mich ist der 1872 in Wien geborene Edmund Rumpler nach Wilhelm Maybach einer hervorragendsten Konstrukteure aller Zeiten. Nach seinem Studium an der Technischen Hochschule in Wien hatte er schon vor der Jahrhundertwende (1899/1900) Kontakt zum Fahrzeugbau in der Nesselsdorfer Wagonbaufabrik, die später unter der Marke Tatra bekannt wurde. U.a. war er Chefkonstrukteur der Daimler-Motoren-Gesellschaft in Berlin-Marienfelde und prägte Adler in Frankfurt/M. in seiner Anfangszeit. Er erhielt u.a. das Patent für die “angetriebene Pendelachse”, gründete bereits 1906 in Berlin sein erstes Konstruktionsbüro. Recht bekannt wurde er durch die Herstellung eines der ersten deutschen Flugzeuge, der “Rumpler-Taube”, die auf eine Konstruktion von Igo Etrich zurückging. Der Versailler Vertrag verbot ab 1919 jede Produktion von Flugzeugen. Rumpler hatte wie auch andere Hersteller, beispielsweise Hans Grade nun ein Problem. Er löste es 1921 mit einem Paukenschlag in der Automobilkonstruktion. Der “Rumpler-Tropfenwagen” besaß einen Sechszylinder-W-Motor in Mittelmotoranordnung, die erst Jahrzehnte später das Non-Plus-Ultra im Formelrennsport wurde. Das Fahrzeug hatte keinen Rahmen, wie die anderen Fahrzeuge seiner Zeit, sondern eine tragende Wanne aus Stahlblech-Profilen und Einzelradaufhängung. Das ganz Besondere aber war, dass der Wagen von oben gesehen wie ein Tropfen aussah und viele Bauteile wie Tragflächen geformt waren. Der Luftwiderstand der Karosse sank gegenüber einer Herkömmlichen auf etwa ein Drittel, wie spätere Untersuchungen ergaben. Der W-Motor war jedoch nicht ganz ausgereift und es gab einige Probleme. Das Fahrzeug fand insgesamt nicht genug Käufer, es war seiner Zeit einfach zu sehr voraus. Die Firma Benz erwarb 1922 die Lizenz und entwickelte daraus einen ersten Rennwagen mit Mittelmotor.
Neben der Flugzeug- hatte auch die Luftschiffindustrie durch den Versailler Vertrag Probleme. Schon während des Ersten Weltkrieges hatte der ebenfalls aus Wien stammende Ingenieur Paul Jaray Grundlagen zur mathematischen Berechnung aerodynamischer Formgebung entwickelt. Im Jahr 1921 meldete er ein Patent an, das zum ersten Mal die Bezeichnung “Stromlinie” beinhaltete. Der erste Fabrikant, der Jarays Patent anwendete, war Rudolf Ley in Arnstadt. Der erste im Jahr 1922 dort hergestellte Stromlinienwagen war wesentlich schneller als das gleiche Fahrgestell mit herkömmlichen Aufbau und brauchte deutlich weniger Benzin. Während der Ley T 6/20 mit normaler Karosserie 80 km/h schaffte, soll er mit der Jaray-Karosse erstaunliche 130 Stundenkilometer erreicht haben. Ein Jahr später statteten auch Audi und Dixi Fahrgestelle mit Karossen nach Jarays Entwürfen aus. Auch Apollo soll Stromlinienwagen angeboten haben. Auf einer Werbefahrt durch Deutschland wurden die Wagen von einem großen Teil des Publikums verspottet. Die Herstellung der Karossen war überdies viel aufwändiger als die herkömmlichen Aufbauten, so das es erst einmal bei wenigen Versuchsfahrzeugen blieb. Ein erhaltener Ley-Stromlinienwagen wurde 1939 in einen Windkanal gestellt und erreichte einen Cw-Wert von 0,245. Dieser Cw-Wert wurde erst 2014 wieder von einem Serien-PKW erreicht.
Der erste in Serie gebaute Stromlinien-PKW war im Jahr 1934 der Tatra 77, den Hans Ledwinka und Erich Übelacker konsequent nach der Idee Jarays entwarfen. Erst Jahrzehnte später wurden Cw-Werte wie bei diesen Tatras im PKW-Bau wieder erreicht. Jaray hatte in Friedrichshafen schon im Jahr 1919 einen Windkanal gebaut, der dazu beitrug, die Form der Zeppeline zu optimieren. BMW testete darin 1931 Stromlinien-Helme und seltsam anmutende Gesäßverlängerungen mit dem Rekordfahrer Ernst Henne. Weltrekordfahrten waren inzwischen ein wichtiges Instrument beim Marketing eigentlich für alle Fahrzeugmarken geworden. Die Sporterfolge der DKW-Motorräder trugen sehr zum hohen Absatz bei. Der Deutsche Motorradmeister des Jahres 1924 Freiherr Reinhard von König-Fachsenfeld war auch Interessenvertreter der “Stromlinien-Karosserie-Gesellschaft” Jarays in Deutschland. Er wollte kleine Autos mit kleinen Motoren durch strömungsgünstige Karosserien schnell machen. Mit einem Spandauer DKW mit 500ccm stellte er zusammen mit Friedrich Meyer im französischen Montlhery zwölf neue Weltrekorde in verschiedenen Kategorien auf. Ein Jahr später baute er die Karosserie eines DKW-Frontantriebsrennwagens aerodynamisch um. Ausgerüstet mit Motoren mit 500 und 350ccm Hubraum wurden weitere Rekorde aufgestellt. Dieses Fahrzeug hat als Steilwandfahrzeug eines Schaustellers überlebt, wurde von Frieder Bach restauriert und ist in der Ausstellung zu sehen. Bekannt wurde von König-Fachsenfeld aber vor allem durch den Stromlinien-Aufbau des Mercedes SSKL mit dem Rennfahrerlegende Manfred von Brauchitsch 1932 spektakulär das Rennen auf der Avus gewann.
So kamen die Ideen Rumplers und Jarays ab Mitte der dreißiger Jahre hauptsächlich beim Bau von Rekordfahrzeugen im deutschen Automobilbau an. In der Ausstellung sind etliche ganz besondere Fahrzeuge aus dieser Zeit zu sehen. Der erste in Deutschland in Serie gebaute Stromlinienwagen war der Adler “Autobahnwagen”. Ebenfalls im Jahr 1939 wurde in Zwickau eine Vorserie des Auto-Union DKW F9 fertig. Die Serienproduktion wurde aber erst 1950 in der DDR begonnen. Kurze Zeit später wurde der Wagen, allerdings mit Zweizylindermotor auch bei der Auto-Union in Düsseldorf gebaut. In Göttingen befand sich ein Standort für verschiedene Institute bzw. Anstalten, die sich mit dem Verhalten von Körpern in Gas- bzw Luftströmungen beschäftigten. Dort war auch vor dem ersten Weltkrieg ein erster kleiner Windkanal gebaut worden. Die Forschung dieser Institute galt zunächst der Form von Zeppelinen und der Form von Tragflächen. Nach der Machtergreifung der NSDAP flossen größerer Mittel dorthin. Im Jahr 1939 entwickelte der junge Ingenieur Karl Schlör im Institut AVA einen siebensitzigen Personenwagen mit sensationellem Cw-Wert. Was aber wurde aus den Wegbereitern? Nach dem relativen Mißerfolg mit dem Tropfenwagen entwickelte Rumpler u.a. noch Stromlinien-LKW mit Frontantrieb. Die beiden Schnelllaster-Prototypen wurden einige Jahre für nächtliche Zeitungstransporte eingesetzt, bis sie bei einem Bombenangriff im Jahr 1943 zerstört wurden. Continental hatte für die Schnelllaster extra Hochgeschwindigkeits-LKW-Reifen entwickelt. Ab 1933 hatte der jüdischstämmige Rumpler praktisch Berufsverbot. Ähnlich erging es Paul Jaray, obwohl er zum Katholizismus konvertiert war. Wolfgang Scheppe schreibt: “Da es der damaligen totalitär herrschenden Diktatur in Deutschland unerträglich erschien, diese programmatisch futuristischen Karosserien, die mit der Schaffung nationalistischer Mythen verbunden sein sollten, einem Juden zuzuschreiben, entfernte man im Zuge der Arisierung der Forschung seinen Namen aus dem öffentlichen Bewusstsein. Seine Patente wurden Allgemeingut. Paul Jaray wurde bestohlen, verleugnet und vergessen”1. Rumpler und Jaray starben verarmt, Jaray wurde regelrecht anonym verscharrt. Mit der hervorragenden Ausstellung werden beide wieder ins Bewusstsein zumindest eines Teils der Öffentlichkeit gebracht.
Die Ausstellung ist hervorragend recherchiert und kuratiert. Wichtige Exponate sind aus fast aller Welt zusammengetragen. Das Design ist wunderschön. Nachdem sie gegen Ende des Jahres nach Ingolstadt geht, wird ein zweiter Teil aufgebaut. Man darf gespannt sein. Gespannt bin ich auch auf eine ganz besondere Replik eines Stromlinienwagens. Das August-Horch-Museum will in Zusammenarbeit mit Audi-Tradition und der Westssächsischen Hochschule Zwickau einen der einst für das Rennen “Berlin-Rom” gebauten DKW F8 Stromlinie nachbauen. Ein Klopfmodell und erste Karosserieteile sind schon zu sehen. Sie sollten sich das alles unbedingt ansehen!
link zum August-Horch-Museum Zwickau
Außer dem Foto des Mercedes-Benz SSKL von Manfred v. Brauchitsch sind alle Bilder von mir im August Horch Museum aufgenommen worden.
Quellen: 1 Scheppe, Wolfgang, in Matzig, Gerhard, Tränen sind schön, Süddeutsche Zeitung, 5.11.2022 Bach, Frieder, Kenner fahren DKW! Prototypen, Weltrekordler, Seltenheiten 1918 bis 1950, Mironde-Verlag 2014 Gränz, Paul, Kirchberg, Peter, Ahnen unserer Autos, Eine technikhist. Dokumentation, transpress, VEB Verlag für Verkehrswesen, Berlin, 1975 Oxley, Mat, Speed. Das einzig wahrhaft fortschrittliche Vergnügen, Übersetzung aus dem Englischen von Andy Jordan, Notschriften Verlag, Radebeul 2019
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