ADAC Sachsenring Classic 15. – 17. 7. 2022
Legenden zum Anfassen
Am 26. Mai 1927 startete das erste Rennen auf dem “alten” Sachsenring. Ab 1934 wurde auf dem zunächst “Badberg-Viereck-Rennen” genannten Kurs der Große Preis von Deutschland für Motorräder und ab 1936 die großen Preise für Europa ausgetragen. Im Jahr 1937 nannte man die Strecke in Sachsenring um. Seine große Zeit erlebte die Naturrennstrecke in den Jahren 1961 bis 1972, als Läufe der Motorrad-Weltmeisterschaft ausgetragen wurden. Fahrer und Teams aus der ganzen Welt kamen hinter den Eisernen Vorhang nach Sachsen und zogen Hunderttausende Zuschauer magisch an. Nach der Wende war die Streckenführung über Landstraßen und durch die Stadt Hohenstein-Ernstthal zu gefährlich geworden und nicht mehr zeitgemäß. Auch mussten viele Straßen und sogar die Autobahn A4 mit der Richtungsfahrbahn nach Dresden als zusätzlicher Parkplatz abgesperrt werden. 1995 konnte die moderne Rennstrecke eröffnet werden und ist, als eine der zuschauerintensivsten Veranstaltungen, eine feste Größe im internationalen Motorradsport geworden. Das zeigt auch der letzte Moto GP vor 4 Wochen, der mit 232.000 Zuschauern an die alten Zeiten anknüpft.
Die Epoche von 1961 bis 1972 war in vielen Aspekten außergewöhnlich. Der Kalte Krieg befand sich auf einer Art Höhe- (oder besser) Tiefpunkt. Kurz nach dem 1. Internationalen Grand Prix in der DDR wurde die Mauer gebaut. Trotzdem kam das ganze internationale Fahrerfeld weiterhin in das einigermaßen isolierte Land. Damit nicht genug, die insbesondere von westdeutschen Medien belächelten Produkte des kleinen Landes konnten es mit den Besten aufnehmen. Wenn Ernst Degner im vorletzten Rennen sein Team nicht auf ungute Weise verlassen hätte, wäre MZ 1961 Weltmeister geworden. Der Kampf wurde aber vom Publikum, wie auch von den Aktiven, auch den Fahrern und Technikern von MZ m.E. nicht politisch gesehen. Für die Meisten war es fairer Sport und das war unter diesen politischen Bedingungen das Großartige und, verglichen mit heute, sehr besonders. Man jubelte den internationalen Stars genauso zu, wie den einheimischen Hoffnungsträgern, man war geflasht vom unglaublichen Sound der Viertakter und sprang vor Freude beim Sieg der sächsischen Zweitakt-Bikes.
Für die jüngeren Leute muss man das mal erwähnen, damit sie verstehen, wie großartig eine Veranstaltung ist, bei der man noch einige der damaligen Helden ganz nah sehen, und wenn es unbedingt sein muss, auch anfassen kann. Der Größte – ever – ist wohl Giacomo Agostini mit 15 WM-Titeln und 122 Grand-Prix-Siegen. Zum Vergleich, der geniale Michael Schumacher schaffte “nur” sieben WM-Titel. Man mag nicht glauben, dass Agostini 80 Jahre alt ist. Was würde ich dafür geben, in diesem Alter noch so fit zu sein, wie er? So gut aussehen werde ich nie. Eine Rennfahrerlegende aus Sachsen ist Heinz Rosner, der ab Mitte der sechziger Jahre WM-Punkte für MZ holte und 1968 WM-Dritter in der Klasse bis 250ccm wurde. Man muss dazu erwähnen, dass er, wenn überhaupt (Reise-Bestimmungen!), nur zu den Läufen auf den internationalen Strecken trainieren konnte. Eine permanente Rennstrecke gab es in der DDR nicht. Dieser Umstand war ein großer Nachteil für die einheimischen Fahrer, wie auch die einheimischen Hersteller. Doch man gab so schnell nicht auf, so auch Heinz Rosner. Auch fast 50 Jahre später, nach seinem schweren Sturz auf dem Zschorlauer Dreieck 2019 gab er nicht auf. Diesen Unfall überstand er im Alter von 80 Jahren. Nun, 83 Jahre alt, möchte er doch etwas ruhiger werden. Zusammen mt Giacomo drehte er vor dem Publikum eine vermutlich letzte offizielle Rennrunde. Die beiden haben seit mehr als 60 Jahren Motorsport der Spitzenklasse präsentiert. Am Wochenende konnte man bei 21 Rennen aber noch viele andere Rennsportlegenden hautnah erleben.
Ich kann hier leider nur wenige der über 650 Starter anführen. Man möge mir die subjektive Auswahl nachsehen. Aus den USA reisten Freddie Spencer und Kevin Schwantz an. Spencer wurde im Alter von 21 Jahren jüngster Weltmeister in der 500er Klasse und 1985 Doppelweltmeister. Der Schweizer Bruno Kneubühler trat zwischen 1972 und 1976 in allen damaligen WM-Klassen, also von 50 bis 500ccm an. Er stand dabei 33 mal auf einem WM-Podest. Der Franzose Christian Sarron wurde 1984 Weltmeister in der 250er Klasse. An diesem Wochenende pilotierte er eine Yamaha aus dieser Zeit. Lothar Neukirchner aus Thalheim war dreifacher DDR-Meister. Sein Sohn Max ist der bisher beste deutsche Fahrer in der Superbike-Weltmeisterschaft. Martin Wimmer gewann viermal die Deutsche Meisterschaft und kaufte zusammen mit Ralf Waldmann im Jahr 2009 das Motorradwerk Zschopau, das leider 2012 Insolvenz anmelden musste. Er pilotierte hier eine der letzten MZ-Rennmaschinen. Anton “Toni” Mang bestritt 1969 auf einer Kreidler sein erstes Motorradrennen. Er gewann insgesamt fünfmal eine Motorrad-Weltmeisterschaft. Der Dipl. Mathematiker und Erfinder Rupert Baindl besuchte ihn, um ein Autogramm für seinen leipziger Freund und Motorenspezialisten zu holen. Am Vorabend hatten wir anregende Gespräche über Rötger “Brösel” Feldmann, den Schöpfer des Comics “Werner” seine Idee vom “Holzmotorrad” und diverse Motorkonstruktionen geführt. Baindl´s Konstruktionen sind bemerkenswert. Die meisten Teile des 112 PS-starken Turbo-Dieselmotorrades sind eigene Entwicklungen und in seiner mechanischen Werkstatt in Geretsried sowie bei der Fa. Pelz und weiteren Mittelständlern im Landkreis gefertigt worden.
vorläufiges Video von der Veranstaltung
|
|
|
Neben den letzten MZ-Rennmaschinen waren auch einige der ersten Motorräder aus Zschopau zu sehen. Die wohl erste direkt für Rennzwecke gebaute DKW mit einem an die Bekamo erinnernden Holzrahmen aus dem Jahr 1922 war hier neben einem DKW-Reichsfahrtmodell zu sehen. Die in den Boxen ausgestellten und in den Rennen gefahrenen Kräder bilden 90 Jahre der Geschichte des zschopauer Motorradbaus ab und zeigen beispielsweise die Entwicklung der Motorleistung von 1 zu 117 PS. Die Gesetze der Physik schien der Kunstflieger Petr Kopfstein überwinden zu können. Da staunte der Laie und der Fachmann wunderte sich. Aber nicht nur mit Propeller oder auf zwei Rädern wurde Motorsport gezeigt, natürlich auch mit drei oder vier. In neuem Glanz und wieder mit Scheinwerfern zeigte sich der von Jens Philipp restaurierte “Ludwig-Spyder”. Er war vorher im Besitz des Leipzigers Lutz Heinicke†. Erstmals habe ich diese Flunder beim Weinbergrennen des MC Naumburg im Jahr 2000 gefilmt. Der Chef und Schöpfer des Museums für sächsische Fahrzeuge Chemnitz Frieder Bach brachte etwas ganz Ungewöhnliches auf die Strecke – den definitiv letzten Auto Union Sportwagen aus Chemnitz. Dieser ist Baujahr 2020 und trotzdem kein Replikat, denn es hat ihn bis dahin nur als Entwurfszeichnungen gegeben. Frieder Bach und sein Sohn Thorsten ließen ihn nun Gestalt annehmen. Die Arbeiten erinnerten mich ein wenig an experimentelle Archäologie (Was hat man wann, wie, herstellen können?) und sind in einer eigenen Publikation nebst Einführung in die Geschichte der Stromlinien-Karosserien, über Paul Jaray und Wunibald Kamm zu Freiherr Reinhard von König-Fachsenfeld dargestellt. Überhaupt kann ich die Bücher des Oldtimerrestaurators und Kenners des sächsischen Automobilbaus wärmstens empfehlen (siehe: weiterführende Literatur).
Thomas Pfeifer, der einen MT 77 an den Start brachte, den ich ganz gut kannte, hatte mich Anfang der Woche zum Sachsenring eingeladen. Bis zum Sonnabend-Nachmittag war nicht klar, ob ich zum Sachsenring fahren können würde, denn wir hatten uns eine Deadline gesetzt. Unser aktueller Rallye-Trabi sollte spätesten Anfang der Woche abgenommen werden. Wir haben es geschafft, ihn am Sonnabend fertig zu stellen. So konnte ich mit Freunden, aber ohne Presse-Akreditierung zum Sachsenring fahren. Besonders interessierte mich natürlich meine einstige Klasse die Formel Easter. Mindestens 30 DDR-Formelwagen waren am Start – beeindruckend. Viele waren sehr restauriert, oft in einer Qualität, die es so zur DDR-Zeit eher seltener gab. Als unrestauriertes Original ist der “Willams-Hoffmann” vom Team MC Leipzig deshalb für mich das schönste Fahrzeug im Feld, auch wenn einige “Apfelsinenhaut-Stellen” Zeugnis meiner “Lackierkunst” sind – trotz widersprüchlicher Erinnerungen – Ostalgie pur. Thomas Pfeifer war übrigens als Doppelstarter auch noch mit einer raren MZ RE 250 aus dem Jahr 1975 unterwegs. Eigentlich will ich ja immer nur einen kurzen Bericht schreiben. Obwohl ich nun viele Klassen nicht berücksichtigt habe, ist er wieder einigermaßen lang geworden und da habe ich schon etwa 500 Fotos gelöscht. Jedenfalls war es ein traumhafter Sonntag und wieder habe ich sehr interessante Menschen kennengelernt.
Ergebnisse
Bilderstrecke auf Flickr (in Arbeit)
Kommentare
ADAC Sachsenring Classic 15. – 17. 7. 2022 — Keine Kommentare
HTML tags allowed in your comment: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>