Besuch im Technischen Museum Wien
Mit einem Freund, mit dem ich das Interesse an Naturfotografie teile, verschlug es mich unlängst in die wunderbare Stadt Wien. Eine kleine Reportage.
Neben dem Nationalpark Donauauen, an dem mich vor allem Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum Leipziger Auwald interessieren, gibt es in der Stadt selbst – z.B. auf dem Zentralfriedhof, Rote-Listen-Arten zu sehen. Doch Wien hat noch mehr zu bieten, als vom Aussterben bedrohte Ziesel, Feldhamster und Rotbauchunken. Ich kaufe mir eine Tageskarte des Öffentlichen Nahverkehrs und tauche in eine wahre Weltstadt ein. Wien gefällt mir. Die Leute sind entspannt, der Dialekt wunderbar. (Vielleicht sollte ich meinem „Sächssch“ in Zukunft mehr Geltung verleihen!) Vor allem ist es eine Stadt mit praller, beeindruckender Kultur, in allen Belangen. Man würde Wochen selbst für das Wesentlichste brauchen. Die Zeit habe ich leider nicht. Zunächst das Machbare; ein Besuch im Technischen Museum Wien. Auf meiner Page “motorostalgie.de” musste ich natürlich zunächst den technikhistorischen „Urschleim“ beschreiben. So findet sich die Erwähnung des Markus-Wagens schon auf den allerersten Seiten, die ich dazu vor Jahren schrieb. Nun möchte ich ihn endlich persönlich in Augenschein nehmen und komme bald aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Schon in der ersten Ausstellungsebene werden in großen Hallen Erzeugnisse und Technik (z.B. Maschinen und Werkzeuge) der Schwerindustrie präsentiert. Neben Originalität und beeindruckender Größe begeistert auch die Formschönheit, mit der viele Teile ausgeführt wurden. Frühe Werkzeugmaschinen erzeugen Hochachtung vor der Leistung der Dreher, Zerspaner, Mechaniker, Gießer, Modellbauer u.v.a. welche diese ersten Maschinen, Lokomotiven und Motore schufen. Die Teile einer gewaltigen transmissions-getriebenen Spitzendrehbank mit riesiger Planscheibe ruhen noch auf gewaltigen Eichenstämmen. Hier wurden Räder und Achsen früher Lokomotiven bearbeitet. Diese Riesendrehbank besteht zum großen Teil aus Hartholz! Die Werkstoff-Mischung belegt begreifbar den Übergang von der Handwerkskunst zur Industrie. Noch riesigere Balanciers betätigen überdimensionale Blasebälge aus der Urzeit der Stahlherstellung. Ich bin schon einigermaßen alt, staune aber wie früher, als ich noch fast ein Kind war.
Dennoch zieht es mich, recht vehement in den dritten Stock, wo unter dem Thema “Mobilität”, Fahrzeuge aller Art auf mich warten. Und da steht er, der “Zweite Markus-Wagen” eines der ersten Autos der Welt. Kurios; der merkwürdige Motor mit dem Kipphebel zwischen der Pleuelstange vom Kolben und der, wie soll ich es nennen, “Zweiten Pleuelstange” zwischen Kipphebel und Kurbelwelle. Mit dem winzigem “Lenkrad”, das anscheinend ein ehemaliges Handrad eines Ventils aus der Dampftechnik ist, kann der Drehschemel vermutlich kaum schnell über einen Schneckentrieb bewegt werden. Selbst Herkules würde den Elch beim Test direkt frontal aufgabeln, ohne irgendwie zu schlängeln oder zu schlingern. Zum Glück gab es damals in Wien wenig Elche (möglicherweise gar keine). Zwischen der Technik des archaisch wirkenden Markus-Wagens und der grazilen Mechanik der Benz-Konstruktionen liegen technisch gesehen Welten. Der erste “Porsche”, ein Elektrofahrzeug, ist leider zur Zeit ins Guggenheim-Museum nach Bilbao ausgeliehen. Mein Erstaunen erregt aber ein Fahrzeug, das schon vor dem “Lohner-Porsche” Frontantrieb besaß. Schon ab 1897 stellte die Firma Carl Gräf (in Wien) einen kleinen Wagen mit Motor von DeDion und Frontantrieb her. Dieses “Benzinfahrzeug Gräf Front” ist also das erste Fahrzeug mit Frontantrieb nach dem Dampfwagen von Cugnot! Vor der Jahrhundertwende 1899/1900 war noch nicht eindeutig klar, dass bald Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor das Straßenbild beherrschen würden. Zwischen den vielen Pferdefuhrwerken, die zuverlässig ihren Dienst versahen, konkurrierten sehr wenige leistungsfähige Dampfwagen mit sehr wenigen leicht zu bedienenden Elektrofahrzeugen und sehr sehr wenigen komplizierten und zunächst sehr störanfälligen Benzinkutschen um den Transportraum. Kaiser Wilhelm hielt das Auto für eine vorübergehende irrwitzige Mode. Er irrte. Exponate der österreichischen Firmen Steyr und Puch bzw. etwas später; Steyr-Puch könnten über die Herkunft des KdF-Wagens (VW-Käfer) nachdenklich stimmen. Aber auch im Automobilbau gibt es Konvergenzen – nicht nur in der Natur. Einzigartig; der erste Hybrid-Pkw von Austro-Daimler aus dem Jahr 1922. Erste Flugzeuge und Modelle von noch früheren Flugapparaten lassen mich staunen; zum Beispiel das Flugboot von Wilhelm Kress, das beim ersten Startversuch am 3. Oktober 1901 im Tullnerbachsee versank, da der Motor zwar wenig leistungsfähig aber recht schwer war.
Eine Sonderausstellung zeigt Interessantes aus der Nahrungsmittelindustrie und bietet Anregungen; von Insekten als Nahrung, über Mahlzeiten aus dem Drucker, die man an einer Bar probieren kann, bis zu historisch Kuriosem, wie der “Ersatzwurst”, eine Erfindung des späteren Bundeskanzlers Konrad Adenauer, oder echte Requisiten aus dem Film “Soilent Green”, der mich als früher Science-Fiction mehr geprägt hat, als ich zunächst dachte. So viele Unikate und einzigartige Exponate! In der mittleren Ausstellungsebene ist die Entwicklung von Elektrotechnik, Elektronik mit unzähligen Ausstellungsstücken bebildert. Erste Telefone, Kohlefadenlampen, Computer – größer als Schrankwände -, erste Fotoapparate, Filmkameras… Aber ich muss mich auf das für mich Zunächst-Wichtigste konzentrieren. Diese Raritäten in Gestalt der ersten Kraftmaschinen im Form von Balancier-Dampfmaschinen nach James Watt, ersten Gasmotoren und Generatoren, finden sich unten in den großen Hallen der 1. Ausstellungsebene; Originale der ersten genialen Verbrennungsmotoren der Welt und sogar ein seltenes Exemplar aus der DDR, ein Flugmotor mit 1800 PS ist hier ausgestellt. Viele Bürger der BRD, die ihre Informationen überwiegend aus Massenmedien beziehen, werden es kaum für möglich halten; im 1955 neu gegründeten VEB Flugzeugwerk Dresden wurden bis 1958 achtzig zweimotorige Passagierflugzeuge vom Typ Iljuschin 14 (vergleichbar mit der DC3 “Rosinenbomber”) in Lizenz für die Interflug, aber auch für den Export gefertigt. Bevor die Fertigung der Turbinen für eines der ersten strahlgetriebenen Verkehrsflugzeuge der Welt, der Baade 152 in Ludwigsfelde (später bekannt für die LKW für W50 und L 60) begann, wurden Hunderte der leistungsstarken Doppelsternmotoren in Karl-Marx-Stadt hergestellt.
Ich hielt mich sieben Stunden im Museum auf und war in dieser Zeit nicht in der Lage, mir alles anzusehen. Man kann hier an einem Tag nicht alles in sich aufnehmen. Danach entspannte ich mich wieder bei der “Jagd” nach schönen Naturaufnahmen. Da gibt es eine Gemeinsamkeit mit Leipzig; man kann tolle Aufnahmen mitten in der Großstadt machen.
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