Eröffnung und erster Tag
Zur Eröffnungsfeier der 82. ISDE im Stadion “Karkonosze” im polnischen Riesengebirge erschienen 403 Fahrer aus 24 Ländern der ganzen Welt. Vor über 20.000 Zuschauern trug der viermalige Europameister und MZ-Pilot Jens Scheffler unsere Fahne beim Einmarsch der Mannschaften. Mit drei Vereinskameraden unseres Clubs, dem MC Leipzig und inclusive unserer MZ-Geländemaschinen(mit überklebten Dauerstartnummern), war ich nach Polen gereist, um als Zuschauer und Fan dabei zu sein. 1982 in Považská Bystrica waren wir zu Fuß an der Strecke entlang gewandert. Diesmal würden wir auch abgelegene Bergpisten aufsuchen können. Italiener und Franzosen waren in den letzten Jahren bei den “Langstrecken-Motocross-Wettbewerben” scheinbar im Vorteil gewesen. Hier könnte der Kurs eventuell mit straffen Zeiten in schwerem Gelände den DDR-Mannschaften entgegenkommen. Am ersten Tag sollten zwei Runden mit insgesamt 393 Kilometern Länge in “Rübezahls Reich” mit seinen berüchtigten Luftmassenwechseln einführen. Gleich nach dem Start in Cieplice gab es einen Beschleunigungstest und pro Runde einen Cross-Test. In der zweiten Runde wurde ein recht harter Gelände-Test eingebaut. Der schwedische Trophy-Fahrer Mikael Nilson versuchte eine gebrochene Schaltklaue zu wechseln. Dazu musste das ganze Triebwerk auseinandergebaut werden. Das konnte er in der Karenzstunde nicht schaffen – raus. Die große KTM von BRD-Trophyfahrer Richard Spitznagel starb an einem Kurbelwellenschaden. Im Cross-Test feuerten Schweizer Fans mit Kuhglocken ihre Fahrer an. Das hatte Stil. Die DDR-Zuschauer waren mit Rasseln und Fußballfanfaren aber zumindest lauter. Marco Rossi (I) und Dick Wicksell (SWE) fuhren hier die schnellsten Zeiten. Vorm Ziel wechselte der Schwede Jönsson den Kolben seiner Husqvarna. Er brauchte dafür nur eine Viertelstunde und war tatsächlich pünktlich an der letzten ZK. Die B-Zeit war an diesem Tag offenbar nicht zu knapp.
Zweiter und dritter Tag
Trotz schönen Wetters wurde wieder B-Zeit angesetzt. Die geröllreichen Pfade waren knüppelhart. Es gab extrem steile Auf- und Abfahrten. Der CSSR-Trophy-Pilot Bohumil Posledni stürzte unglücklich und musste mit gebrochenem Arm ausscheiden. Auch Jens Thalmann verletzte sich, fuhr aber weiter. Die DDR führte weiterhin in der Trophy-Wertung. Durch sehr gute Zeiten in den Cross-Tests verdrängten die Italiener unsere Silbervasenmannschaft vom 1. Platz. Am dritten Tag herrschte regelrecht schwüles Wetter. Im Cross-Test stieß Harald Sturm beinahe mit einer Kuh zusammen. Der kaum 21 Jahre alte Six-Days-Neuling Thomas Bieberbach steigerte sich enorm und fuhr mit seiner Simson nach dem Champion Marco Rossi die zweitschnellste Zeit. Am Abend in unserer wunderschönen Berghütte bei Sklarska Poreba erlebten wir, wie draußen ein sehr heftiges Gewitter niederging. Mit einigen Bewohnern des Ortes tauschten wir unter anderem ostdeutsche Wurstwaren gegen benötigte Zloty.
Vierter und Fünfter Tag
Durch unsere Maschinen waren wir recht beweglich, doch manchmal auch gehandicapt. So musste ich erst einmal einen gerissenen Gas-Bowdenzug ersetzen. Die Strecke war naß und glitschig und es sollte weiter regnen. Mit Erstaunen erfuhren wir, dass dennoch nun plötzlich A-Zeit angesetzt worden war. Andreas Holz von der westdeutschen Vasenmannschaft musste nach Sturz aufgeben und durch zum Teil angestaute Wasserdurchfahrten gerieten viele Fahrer in Zeitverzug. Die führenden Italiener Rossi und Calvi kassierten Strafpunkte durch Zeitüberschreitung. Thomas Bieberbach und Uwe Weber fuhren die schnellsten Cross-Tests in ihrer Klasse. Bert von Zitzewitz fiel durch gleich zwei Reifenpannen weit zurück. Am Ende des vierten Tages waren noch 312 Fahrer dabei. Unsere Trophymannschaft konnte die Führung ausbauen und die Silbervasenmannschaft holte sich die Führung zurück. Am fünften Tag war es kühl aber es kam kein weiterer Regen dazu. Trotzdem merkte man auf den insgesamt 256 Kilometer langen Schlamm- und Geröllpisten vielen Fahrern die Strapazen der letzten Tage an. Viele Mannschaften waren durch Ausfälle geplatzt.
Sechster Tag
Nach einer kurzen Runde von 69 Kilometern Länge sollte der Abschluss-Motocross bei Jezow Sudecki die Entscheidung für die 278 verbliebenen Fahrer bringen. In der 80er Klasse gewann Cross-Künstler Rossi vor Bieberbach und Thalmann(beide Simson). In der Viertelliterklasse gab es eine sehr schlechte Nachricht für uns; Uwe Weber soll sich die Hand gebrochen haben. Doch zu unserer Überraschung war er im Rennen dabei und wurde, trotz stark lädierter Hand, nach Harald Sturm sogar noch Fünfter. Klassensieger wurde der überragende Schwede Dick Wicksell vor Grasso. Schweden und Italiener waren also sehr nah an uns herangerückt, und das Abschlussrennen der Fünfhunderter würde wahrscheinlich die ganze 1475 Kilometer lange Sechstagefahrt entscheiden. Bei diesem letzten Rennen stürzte Jens Grüner schwer und kam als Letzter aus der zweiten Runde, konnte aber mit einer sagenhaften Aufholjagd mit einigermaßen verbeultem Bike wieder bis ins Mittelfeld aufschließen. Im Ziel angekommen stieg er ab und fiel bewusstlos um. Als er wieder zu sich kam, wurde klar; es hatte gereicht. Die DDR gewann die Weltmeisterschaft, die Silbervase und alles was Mannschaften gewinnen konnten. Thomas Bieberbach gewann vor Jens Thalmann die Einzelwertung der achtziger Klasse. Bei den 125ern belegt Reinhardt Klädtke den 3. Platz. Er war von MZ zu Simson gewechselt und kam offenbar auf Anhieb gut zurecht. In der Halbliterklasse wurde Jens Grüner nach dem Schweden Jönsson und vor dem Italiener Tulio Pellegrinelli Zweiter. Für die Motorsportler unseres kleinen Landes war es eine großartige Woche.
Quellen: Eschment, Wolfgang, Höhne, Christoph; Superleistung! 62. Six Days in Jelenia Gora, Illustrierter Motorsport, 10. 1982