Manchmal wird die Anwendung des Begriffes Weltstadt für meine Heimatstadt Leipzig von einigen eher belächelt. Zu unrecht. In Leipzig wurde mit der “Mustermesse” das heutige Format der meisten Messen zum ersten Mal eingeführt. Sie war bis zur Wende auch eine der größten Messen der Welt. In den Messewochen kamen mit bis zu 750.000 Besuchern etwa so viele Fremde in die Stadt, wie sie Einwohner hatte. Auch meine Großeltern vermieteten zweimal im Jahr ein Zimmer unserer großen Wohnung, wie wohl Zehntausende andere auch. Es gab einst mehr als 2000 Verlage, Druckereien, Buchbindereien und Unternehmen aller Art mit Bezug zu Buch und Druck. Es gab Jahrzehnte, da kamen bis zu 70 Prozent aller Bücher der Welt, auch die in England, Australien und den USA verkauften, aus Leipzig. Das ist eine Relation, wie sie heute auch Amazon gut zu Gesicht stünde. Der Erfolg der Buchhändler war u.a. dem Prinzip der Genossenschaft geschuldet, dem man heute im globalisierten Kapitalismus keine großen Chancen mehr zugestehen möchte. Leipzig war eine vom Bürgertum geprägte Stadt, keine Residenzstadt wie Dresden. Selbst der Erfolg der “Löwenfabrik Leipziger Zoo” war vor allem den Unternehmergeist von Ernst Wilhelm Pinkert und Johannes Gebbing geschuldet. Die Meisten der bis heute mehr als 2300 Löwen, die in Leipzig das Licht der Welt erblickten, wurden zu deren Lebzeiten geboren. Leipzig war definitiv eine Großstadt und die Bürger amüsierten sich nicht nur in Theatern, Oper(n) und Gewandhaus, sondern auch auf der Pferderennbahn. Dort herrschte teils unglaubliches Gewimmel, sodas eine zweite große Rennbahn sinnvoll erschien – zudem das Scheibenholz eher eine Galopprennbahn war. Nach verschiedenen Vorschlägen kam Panitzsch für die neue Trabrennbahn zum Zuge. Durch das schnelle Wachstum der Stadt schien noch dazu die Eingemeindung auch von Panitzsch kurz bevor zustehen. Vorstand des Trab-Renn-Club Leipzig-Panitzsch war der Rittergutsbesitzer Lampe aus Dewitz bei Taucha. Er riskierte sein ganzes Vermögen und seinen Grundbesitz um das ambitionierte Projekt umzusetzen. Er war ein Macher, der viel riskierte, ähnlich wie Ernst Pinkert. Zu dem gab es eine weitere Parallele. Die großartige Kongresshalle am Zoo wurde auf Betreiben Pinkerts vom Architekten August Ferdinand Heinrich Rust konstruiert. Am 12. 10. 1899 etwa ein halbes Jahr nach der Grundsteinlegung war bereits Richtfest. Trotz der – verglichen mit heute – extrem schnellen Genehmigungs- und Bauzeit und mehreren  Volltreffern von mindestens zwei Angriffen von alliierten Bomberverbänden 1943 und 1945 ist der teilweise schon damals in Stahlbetonbauweise gebaute repräsentative Bau noch kein einziges Mal eingestürzt. In ähnlicher Bauweise schuf Rust dann 1928 auch den großen Tribünenbau der Trabrennbahn in Panitzsch mit seinen 1000 Sitzplätzen, den Logen und dem großen Restaurant. Der Bau wurde ebenfalls in nur wenigen Monaten fertig. Doch eines war anders. Etwa zur Zeit der geplanten Eröffnung der Rennbahn stürzten amerikanische Spekulanten die Volkswirtschaften der Welt in eine tiefe Krise. Zu den Rennen kamen deutlich weniger Menschen als geplant und man musste bald Insolvenz anmelden. Die Leute hatten in der Not andere Prioritäten und die Straßenbahn wurde auch nicht bis Panitzsch verlängert. Lampe verlor 1931 seinen gesamten Besitz. Durch den Mitteldeutschen Trabrennverein Leipzig wurden von 1935 bis 1939 dann wieder zahlreiche Rennen auf der 1200 Meter langen Bahn ausgetragen. Im Krieg diente das Gelände u.a. als Flak-Stellung. 

Programmheft Panitzsch 1951

Programmheft Panitzsch 1951, Archiv Gerhard Otto

A. Bergmann aus Güstrow am 15. 4. 1951 in Panitzsch

A. Bergmann aus Güstrow am 15. 4. 1951 in Panitzsch, Foto: Günter Kempe, Borsdorf Archiv Gerhard Otto

Willi Lehmann am 15. 4. 1951 in Panitzsch

Ehrenrunde: Willi Lehmann am 15. 4. 1951 in Panitzsch, Foto: Günter Kempe, Borsdorf Archiv Gerhard Otto

Tausende Besucher in Panitzsch, Foto: Renate u. Roger Rössing, von Deutsche Fotothek‎, CC BY-SA 3.0 de, via commons.wikimedia.org

Harry Gusinde und Edgar Perduß 1951 Panitzsch

Harry Gusinde und Edgar Perduß 1951 Panitzsch, von Deutsche Fotothek‎, CC BY-SA 3.0 de, via commons.wikimedia.org

Schon am 8. Juni 1930 hatte der ADAC ein erstes Sandbahnrennen auf der neuen Trabrennbahn veranstaltet. Obwohl man vermuten könnte, die Menschen der Nachkriegszeit hätten vor allem mit der Versorgung mit Nahrung und dem Aufbau all des Zerstörten genug zu tun, sah man, dass bei Vielen anscheinend doch noch erhebliche Spuren von “Benzin im Blut” vorhanden waren. Schon 1949 begannen einige “Motorsportverrückte” Bombentrichter auf der Bahn aufzufüllen und all den Schrott wegzuräumen. Die Motorsport-Gemeinschaft Leipzig wurde gegründet und eine neue Sandschicht auf die Bahn aufgebracht. Von 1950 bis 1959 wurden dann insgesamt zwölf Sandbahnrennen ausgetragen. Bis zum 11. Rennen war Walter Gimpel, der auch für das Leipziger Stadtparkrennen verantwortlich war, Rennleiter. Mit bis zu 35.000 Zuschauern kamen so etwa durchschnittlich drei mal mehr Menschen als zu den Pferderennen vor dem Krieg. So spektakulär wie die Rennen waren auch die mobilen Sitzgelegenheiten der Zuschauer. Aus Leitern und Brettern wurden abenteuerliche Hochsitze geformt. Schon am ersten Rennen 1950 nahm als 17jähriger der später achtfache DDR-Meister im Bahnsport Hans Zierk teil. Zierk lieferte sich hier viele packende Zweikämpfe mit Arthur Flemming dem “Roten Teufel”. Auf der Langbahn wurden bei den Solomotorrädern die Klassen 250-, 350- und 500 Kubikzentimeter gefahren. Die Bahn war recht hart. Im Sand gab es zum Teil recht große Kiesel, die trotz Schutzmaßnahmen Gesichtsverletzungen hervorrufen konnten. Höhepunkte waren zweifellos die Rennen der Gespanne. Manchmal wurden dieselben Seitenwagenmaschinen gefahren wie im Strassenrennsport. Zu den sehr erfolgreichen Gespannfahrern gehörten Harry Gusinde und Edgar Perduß. Willi Krenkel und Beifahrerin Marianne Schwarze stellten 1951 mit einem Schnitt von 95,56km/h einen Bahnrekord auf. In jenem Jahr traten auch etliche Fahrer aus Westdeutschland an und es gab einmalig ein Rennen für Formelrennwagen, das Willi Lehman aus Bitterfeld gewann. Beim Rennen am 15. April 1951 verunglückte leider der leipziger Lizenzfahrer Paul Kropfhäuser tödlich. Im Jahr 1953 fuhr der Westdeutsche Josef Hofmeister mit 117,3 km/h die schnellste Runde und der “Rote Teufel” gewann die Klassen 250- und 350 Kubikzentimeter. Im Motorsportgesetz der DDR aus dem Jahr 1951 gab es die Regelung, dass die Losung “Für die Einheit im deutschen Sport” auf Plakaten und Rennprogrammen abzudrucken sei. Wie auch im Strassenrennsport wurden stets die westdeutschen Fahrer eingeladen und zwischen vielen Fahrern entstanden auch im Bahnsport “innerdeutsche” Freundschaften. Mit Geldern aus dem Toto wurde die Bahn für das Jahr 1954 noch einmal instand gesetzt. 1956 startete erstmals der erfolgreiche Däne Jens Matthiasen in Panitzsch. Das letzte Rennen fand am 4. Oktober 1959 statt.

Bahnsportler 1951 in Panitzsch, Foto: Renate u. Roger Rössing von Deutsche Fotothek‎, CC BY-SA 3.0 de, via commons.wikimedia.org 

Gespannrennen Panitzsch 1951, Foto: Renate u. Roger Rössing von Deutsche Fotothek‎, CC BY-SA 3.0 de, via commons.wikimedia.org 

Gespannrennen Panitzsch 1951, Foto: Renate u. Roger Rössing von Deutsche Fotothek‎, CC BY-SA 3.0 de, via commons.wikimedia.org 

Ab 1965 wurde die Trabrennbahn von der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) für die Disziplin Geländesport genutzt. Aus dieser Zeit gibt es ein interessantes Fotodokument, das mir Olaf Liebold zur Verfügung stellte. Es zeigt die Geländefahrer der GST bei einem Auftritt beim “Tauchscher”-Stadtfest in Taucha. Im Bildhintergrund rollt langsam ein Geländewagen P3, an dem an der Seite eine Sprungrampe befestigt ist. Die Motorradfahrer beschleunigen zur Rampe hin und springen am Auto vorbei. Im Bildvordergrund ist eine MZ ES 125/G5 Geländemaschine zu sehen. Sportler der GST Panitzsch fuhren auch aktuelle Werks-Geländemaschinen beispielsweise 1965 bei den Six Days auf der Isle of Man. Einer dieser Spitzenfahrer ist Dietmar Franke. Er wäre mit dieser Mannschaft fast mit nach Großbritannien gereist. Doch durch Westverwandtschaft wurde er für diese Veranstaltung aus dem Kader genommen. Er war aber bei anderen internationalen Veranstaltungen dabei. Später fuhr er bei der GST in Dresden und schließlich bei MC Dynamo Suhl stets die kleinen schnellen Simson-Geländemaschinen. Mit einer Moderneren aus dem Jahr 1980 nimmt er immer noch an Classic-Enduro-Veranstaltungen teil. Ab 1967 wurde das Gelände zum Bezirksausbildungszentrum der GST ausgebaut. Im Jahr 1982 fuhr ich tatsächlich selbst einmal auf dieser  Sandbahn. Ich absolvierte dort eine Schulung für den Militär-LKW Ural. Unter der Tribüne waren große Hallen, in denen die LKWs standen. Wir schliefen in der Baracke dahinter. Nach Einführungsrunden auf der Rennbahn ging es ins Gelände in der Dahlener Heide – Geländesport mit sechs Rädern. Und mit dem Stichwort Ural oder NVA geht es nun wieder zurück zum Cottaweg in Leipzig. Mit einem Ural-Werkstattwagen nahm ich beim Neubau des Geländes der Kleinmesse als “technische Sicherstellung” teil. Unser Pionier-Battalion hat den Platz mit allen Versorgungsleitungen neu hergerichtet. Auf dem Areal wurden Zehntausende Teilnehmer des Turn- und Sportfestes 1983 mit Essen versorgt. Damals gab es etwa doppelt so viele Teilnehmer und Besucher, wie jetzt bei der aktuellen Veranstaltung im Jahr 2025. 

GST beim Tauchschen

Die Geländesportrler der GST Panitzsch beim “Tauchschen”, Foto: Olaf Liebold

Dietmar Franke Simson GS 125

Dietmar Franke mit Simson GS 125 Baujahr 1980 bei der Classic Enduro Zschopau 2022

Ural Werkstattwagen mit LO im Schlepp

Mit einem solchen Ural half ich beim Turn- u- Sportfest 1983 in Leipzig mit. Aufnahme beim Militärfahrzeugtreffen Torgau

Tribüne Panitzsch 2024

Tribüne Panitzsch im Jahr 2024, von 126Edward – Eigenes Werk, CC0, via commons.wikimedia.org

Quellen: Fischer, Eberhard, Otto, Gerhard in Bulisch, Jens, Freier, Reinhardt, Panitzsch: Zum 750. Jahrestag der Ersterwähnung, Engelsdorfer Verlag 2017