Der Stau
Warum ein Stau von etwa 400 Kilometern Länge in den deutschen Medien nicht vorkommt.
Gestern fuhr ich aus der Gegend von Katowice nach Leipzig zurück. An der Zahlstelle der A 4 bei Karwiany südlich von Wroclaw staute sich der Verkehr. Als nach mehr als 80 Kilometern Länge immer noch kein Stauende zu sehen war, begann ich einige Fotos zu machen, die letzten auf der A 14 bei Döbeln. Nur ein Sender berichtete über Verkehrsstörungen auf der A 4 bis zum Hermsdorfer Kreuz. Der MDR erwähnte immerhin mehrere Staus von 7 bis 20 Kilometern Länge. Schon am Vortag war ein erheblicher Verkehr nach Polen zu beobachten. Zunächst wunderte ich mich darüber, was so viele Engländer, Holländer und Deutsche über die Feiertage nach Schlesien zog. An Raststätten aber begriff ich, was los war. Die Menschen aus den Autos mit britischen, niederländischen und deutschen Kennzeichen sprachen alle eine Sprache – Polnisch. Vermutlich Hunderttausende Arbeiter besuchten über die Feiertage ihre Familien in der Heimat.
Nicht nur in meiner Branche werden Löhne, Preise und Standarts immer irgendwie wieder neu unterboten. Wer als Subunternehmer im Paketgeschäft Mindestlohn zahlt, kämpft definitiv ums Überleben. Es gibt immer einen, der unterbietet. Ich habe nichts gegen Polen, aber es könnte dem ein oder anderen klar werden, warum bei einem angeblichen Fachkräftemangel die Löhne nicht steigen. Müsste der „freie Markt“ das nicht bewirken? Die Drahtzieher der europäischen Union haben schon genau gewusst, warum sie die EU so schnell gegen jede Vernunft erweitert haben. Nicht nur Rumänen und Bulgaren, sondern vielleicht auch bald Georgier und Ukrainer können durch die Freizügigkeit legal mit arbeitssuchenden Deutschen konkurrieren. Der Mindestlohn ist in der Praxis Operettentheater. Allein 2018 kamen 143.000 Polen zusätzlich nach Deutschland, um zu arbeiten (Quelle: Die Welt). In Deutschland leben je nach Quelle zwischen 860.000 (Quelle: Statista.de) und 1,4 Millionen (Quelle: Gazeta Wyborcza) polnische Staatsbürger und dazu 1,7 (Quelle: Gazeta Wyborcza) bis 2,1 Millionen (Quelle: Wikipedia) Deutsche mit polnischen Migrationshintergrund. Jedes Jahr kommen etwa 100.000 hinzu. Während die AfD über einige 10.000 Asylanten herumningelt, strömen Millionen meist osteuropäischer armer Schweine nach Mittel- und Westeuropa und bestimmen dort das Lohnniveau des unteren Bevölkerungsdrittels – auch in Deutschland. Ich arbeite zurzeit für 9,19 Euro.
In unseren Medien wird Johnson als Arschloch dargestellt. Die Torries sind nun auch wirklich nicht meine politische Richtung, aber der Premierminister erfüllt das Votum einer Mehrheit. Die Sprachregelung unserer Gesinnungs-Terroristen scheint zu lauten: „Wenn das Volk macht, was die Hochfinanz will, ist das Demokratie. Wenn das Volk etwas anderes macht oder will, ist es Populismus.“ So einfach ist die Welt, wenn man den Großteil der Fakten ignoriert. Und so ignorieren die Medien auch komplett einen über 400 Kilometer langen Stau. Das braucht das dämliche Volk auch nicht zu wissen. Die Wohnungsnot und die extremen Mieten sind auch eine Art Naturereignis, das natürlich völlig unerwartet über uns hereingebrochen ist. Die 2,1 Millionen Arbeiter aus Osteuropa im Königreich, davon mindestens 750.000 aus Polen (Quelle: Spiegel-online) betrachtet eine knappe Mehrheit der Briten, im Gegensatz zu uns, nicht als Naturereignis, sondern als Ergebnis einer europäischen Politik, die von denen gemacht wird, die davon profitieren. Wenn man sich die Meinungen vieler Deutscher anhört, könnte man meinen, es gäbe bei uns mehr Vermieter als Mieter und mehr Unternehmer, die sich über preiswerte Arbeitskräfte freuen, als Arbeitnehmer, die mit ihrem Lohn kaum den Lebensunterhalt bestreiten können. Aber es kommt vielleicht auch darauf an, was in den Medien stattfindet und was nicht. Den Stau von 416 Kilometern hat es jedenfalls zumindest medial nie gegeben.
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