Bulldog – Dampf und Diesel – Massen auf dem AGRA-Gelände
Vier Jahre lang konnte aufgrund der Corona-Maßnahmen die Veranstaltung auf dem Gelände der berühmten Landwirtschaftsausstellung in Markkleeberg nicht stattfinden. Seit Kurzem durfte man nun wieder. Vorhersagen über Anzahl von Besuchern wurden nun aber tatsächlich schwer. Die Lanzfreunde Sachsen hatten sich jedenfalls große Mühe bei der Planung gegeben. Die Zufahrt sowohl zum Messegelände als auch zu den Parkplätzen wurde von der einstigen Zufahrtstraße auf eine neu geschaffene zweispurige Schleuse geleitet. So blieb die vormalige Zu- und Ausfahrt nur Ausfahrt und Zufahrt für Feuerwehr- und Rettungskräfte. In der nun zweispurigen Einfahrt konnten sich viele Helfer verteilen und Parkgebühr kassieren, sowie die Einfahrt für Teilnehmer mit historischen Fahrzeugen gewährleisten. Der große Zustrom zur Veranstaltung ließ jedoch trotzdem Staus entstehen. Mit einigen Verhandlungsgeschick konnten wir unser Fahrzeug zwischen Traktoren einer der zahlreichen Vereine einschieben. Stellenweise hatte ich den Eindruck, dass auf dem Gelände nicht ein einziger, weiterer Klappstuhl hätte aufgestellt werden können. Es gab Traktoren ohne Ende. Noch niemals in meinem Leben hatte ich so viele Zugmaschinen, LKW und Standmotoren an einem Ort gesehen. Genaue Zahlen konnte ich bis jetzt noch nicht in Erfahrung bringen. Es sollen mindestens 1000 Exponate zu sehen gewesen sein. Die Besucher schätze ich auf mehrere Zehntausend.
Schon vor zwei Jahren hatte man ein Jubiläum feiern wollen. Im Jahr 1921 war auf der DLG-Landwirtschafts-Ausstellung genau am Ort der heutigen Veranstaltung der erste Lanz-Bulldog-Schlepper – der HL 12 – der Weltöffentlichkeit vorgestellt worden. HL steht für Huber und Lanz. Huber war der Konstrukteur der Maschine und 12 die Leistung des Motors in PS. Die beeindruckende Parade dieses ersten Typs in Markkleeberg zeigt – durch ihre Bereifung – auch die hauptsächliche Nutzung – nämlich im Fuhr und Transportwesen. Auf dem Acker waren diese Ur-Traktoren nur selten zu finden. Junge Leute können sich die Infrastruktur in Sachen Heizung vergangener Jahrzehnte kaum vorstellen. In jedem Stadtviertel gab es Kohlenhändler, welche die Briketts für mehrere Hundertausend Kohleöfen – beispielsweise in Leipzig – mit ihren Traktoren von den Güterbahnhöfen abholten und in die Keller der Wohnhäuser beförderten. Zu jener Zeit wurde fast der gesamte Güterfernverkehr mit der Bahn abgewickelt. In den Städten gab es Güterbahnhöfe, wo die Waren von oder zur Bahn gelagert und umgeladen wurden. Kleinere Firmen, die über keinen eigenen Bahnanschluß verfügten, wurden von kleinen Fuhrunternehmen versorgt. Zunächst geschah dies mit Pferdefuhrwerken, später mehr und mehr mit Lieferwagen oder Traktoren, welche ganze Anhänger von und zu den Firmen beförderten. So dürften die meisten hier ausgestellten HL 12 mit ihren Vollgummireifen nicht auf dem Feld gefahren sein, sondern Anhänger gezogen haben. In den letzten Jahren wurde gerade in Leipzig der letzte große Güterbahnhof vernichtet. Auf dem riesigen Areal in Leipzig-Eutritzsch entsteht ein neues Wohngebiet. Dies zeigt die Verlogenheit der Verantwortlichen in Fragen der Verkehrswende. In der Wirtschaft wird sie in umgekehrter Richtung verfolgt. Während der links unten abgebildete Deutz-Dreizylinder eine Dieselmotor besitzt, haben all die hier abgebildeten Lanz-Bulldog einen Einzylinder-Zweitakt-Glühkopfmotor. Dieser ist kein Selbstzünder, sondern der Glühkopf stellt eine Fremdzündung dar.
Traktoren setzten sich in der Landwirtschaft nur allmählich durch. Am Anfang des 20. Jahrhunderts arbeiteten etwa 60 Prozent der Einwohner Deutschlands auf dem Feld oder im Stall. Heute sind es noch zwei Prozent. Auch in der DDR gab es noch Bauern, die nicht in die Genossenschaften eingetreten waren. Einige sah ich noch in den achtziger Jahren mit Pferden arbeiten. Sie konnten sich nie einen Traktor leisten. Der Traktor brachte die Moderne in die recht konservative Welt der Landwirtschaft und – vom Osten einmal abgesehen – verstärkt auch die Wirkungsweisen des Kapitalismus. In Deutschland sank die Zahl der Bauernhöfe von 904.700 im Jahr 1975 auf 256.000 im Jahr 2022. Im Jahr 1937 hatten noch über neun Millionen Menschen in mehr als drei Millionen Bauernhöfen gearbeitet. Diese Entwicklungen zeigen sich auch in der Technik und ist eindrücklich in den ausgestellten Exponaten zu sehen. Nach dem 2. Weltkrieg gab es in Westdeutschland eine große Zahl von Herstellern, die vor allem kleine Traktoren mit geringer Leistung bauten. Die Verantwortlichen des VEB Schlepperwerk Nordhausen wurden 1964 dagegen abgesetzt, weil – so die Legende – die Entwicklung zu größeren Traktoren nicht schnell genug umgesetzt wurde. Über unsere LPGs und Traktoren, wie den Kirowez K 700 schüttelten westliche Journalisten medial ihre Köpfe. Inzwischen sind auch im Westen des Landes die Größe der Schlepper und der bearbeiteten Flächen z.T über die einstigen Ausmaße bei den Genossenschaften angestiegen. Menschen, die als Kinder Monopoly spielten, setzen nun beherzt die Regel “Wachse oder weiche” um.
Typische Ackerschlepper früher Jahre hatten größere stählerne “Greifräder” mit regelrechten Schaufeln für den Boden. Erst Ende der zwanziger Jahre gab es große Luftreifen für die Traktoren. Diesmal waren auf der AGRA etliche K 700 in verschiedenen Versionen zu sehen. Unten rechts die “Ur-Version” noch mit Achtzylinder-Saug-Diesel mit “nur” 215 PS. Diese Baureihe wurde von 1964 bis 1975 produziert. Bald gab es weitere Typen auch mit Zwölfzylinder-Motoren sowie Turbo-Aufladung und Ladeluftkühlung mit Motorleistungen zwischen 270 und 334 PS. Die Absetzung der Chefs des Nordhäuser Werks hatte natürlich noch andere Gründe. Dort sollte der Einheitsmotor, der vor allem im LKW W 50, im Traktor ZT 300 sowie in zahlreichen Land- und Baumaschinen eingesetzt wurde, in sehr großer Stückzahl hergestellt werden. Die Größe des neuen Famulus entsprach überdies der Größe des rumänischen Universal 650 vor allem aber der Belarus-Typen (MTS 5-80) die inzwischen in Minsk fast 4 Millionen Mal produziert worden sind. Der ZT 300 war so gesehen ein für die Genossenschaften in den sechziger Jahren geeigneter Traktor. Aber es wurden bald Größere benötigt.
Nach diesen Einlassungen über die Historie der Zugmaschinen noch einige weitere interessante Beobachtungen. Sehr gespannt war ich auf die Präsentationen von Standmotoren, die für mich immer ein Höhepunkt der Veranstaltungen sind. Es gab neben oft weit über 100 Jahre alten Gas- Otto- und Dieselmotoren auch einige Girling-Maschinen in Betrieb zu sehen. Sehen Sie sich das Video dazu an. Natürlich gab es auch wieder seltene DDR-Nutzfahrzeuge zu sehen. Ich habe diesmal Bilder von Dumpern ausgewählt, die einst in Brandis bzw. Leipzig-Mölkau fabriziert wurden. Einen weiteren Höhepunkt stellten Lokomobile und eine Feldbahn dar, wo Loren mit einer kleinen Dampflok und einer Lok mit Einzylinder-Glühkopfmotor gezogen wurden.
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